News | Themen | 2024 in drei Filmen #5: Lob des Hybriden (2025)

Schaut man sich durch die Mediatheken und Angebote der Streaming-Anbieter, herrscht dort überwiegend große Ödnis und trotz eines vermeintlichen Überangebots erstaunlich wenig Varianz an erzählerischen Formen und Genre- bzw. gattungsübergreifenden Filmen, die versuchen, neue Wege zu beschreiten. Und im Kino findet sich leider überwiegend ein ähnliches Bild. Doch zum Glück sind mir in diesem Jahr ein paar Filme begegnet, die sich wenig um Genres und Grenzen scheren und die mühelos Gattungsgrenzen überspringen — sogenannte Hybride zwischen Spiel- und Dokumentarfilm. Und von denen sind mir dieses Jahr immerhin gleich einige begegnet, die mich begeistert haben.

Da ist zum einen Narges Kalhors Shahid, der seine Premiere im Februar bei der Berlinale im Internationalen Forum des jungen Films feierte, dort gleich zwei Preise abräumte und im August im Eigenverleih der Produktionsfirma in die Kinos kam — leider trotz großen Engagements aller Beteiligten mit eher mäßigem Zuspruch.

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Shahid ist — ja, was eigentlich — ein dokumentarisches Musical, eine greller Satire auf den deutschen Amtsschimmel, eine autobiografische Spurensuche und nicht zuletzt auch ein Meta-Film über das Filmemachen selbst. Als Ausgangspunkt dieses wilden Ritts dient eine Episode aus dem Leben von Narges Kalhor, die eigentlich korrekterweise Narges Shahid Kalhor heißt — und genau darin liegt das Problem: „Shahid“ bedeutet nämlich „Märtyrer“ und genau diesen martialischen Namensbestandteil will die Regisseurin und Autorin unbedingt loswerden. Nur ist das halt gar nicht so einfach.

Das Besondere an diesem Film ist dabei vor allem die Art und Weise, wie flüssig und leichtfüßig er unterschiedlichste Formen und Perspektiven zusammenfügt. Trotz des persönlichen Hintergrunds erlaubt sich Narges Kalhor enorme Freiheiten, lässt sich selbst von der Schauspielerin Baharak Abdolifard verkörpern, zeigt ihre entsetzlich anstrengenden Ahnen als nervige Anhängsel, erschafft bewegte Gemälde und entführt uns so in eine ganz eigenen Welt. Ein echtes Kinoerlebnis!

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Die zweite Begegnung mit einer hybriden Form machte ich bei der Diagonale 2024, wo ich eher durch Zufall in Sparschwein von Christoph Schwarz geriet. Dass dieser Film mit (Seh)Gewohnheiten bricht, merkt man bereits im Vorfeld schon allein daran, dass er zwar bei der Diagonale in der Sektion Spielfilm gezeigt wurde, auf anderen Festivals aber als Dokumentarfilm aufgeführt wurde — ja was denn nun?

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Die Wahrheit liegt zwar nicht immer in der viel beschworenen Mitte, in diesem Fall aber schon. Eine „Mockumentary“ nennt Schwarz selbst sein wundervoll selbstironisches Werk, aber auch das stimmt nur teilweise. Ähnlich wie bei Shahid geht es auch in Sparschwein um die filmschaffende Person selbst. Mit dem Unterschied, dass Schwarz sich selbst spielt. Im Mittelpunkt steht ein fiktives Filmprojekt, das er für den ORF verwirklichen soll. Weil aber das gesamte Budget für ein Wochenendhäuschen draufgeht, macht Schwarz aus der eh schon notorischen Geldknappheit eine Tugend und dreht seine Fernsehdoku über seinen radikalen Konsumstreik ohne einen einzigen Euro — und hinterfragt gleichzeitig seinen Konsumverzichts- und Klimaaktivismus auf hinreißend schlitzohrige Weise und so, dass er auch selbst nicht ganz ungeschoren davonkommt. Ich kann mich in diesem Jahr kaum an einen Film erinnern, bei dem ich mehr gelacht hätte als bei diesem. Leider ist der Film derzeit aber noch ohne deutschen Verleih. Was sich hoffentlich bald ändert.

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Sowohl Shahid als auch Sparschwein eint zudem, dass beide Filme sich auch auf einer Meta-Ebene bewegen und die Bedingungen ihrer Produktion selbst zu einem der Themen machen, von denen sie in Bildern sprechen. Das gilt mit Abstrichen auch für den letzten Film: Die Rückkehr des Filmvorführers von Orkhan Aghazadeh ist eine Hymne an den Zauber des Kinos, die in der Grenzregion zwischen Aserbaidschan und dem Iran angesiedelt ist. Dort lebt Samid, der sich in den Kopf gesetzt hat, gemeinsam mit seinem Enkel Ayaz das alte Kino des Dorfes wiederzubeleben. Doch diese Unternehmen erweist sich als überaus schwierig, weil zum einem die Glühlampe für den Projektor nur schwer zu beschaffen ist. Und dann ist auch der Film, den die beiden vorzuführen gedenken, unvollständig. Aber am Ende geht alles gut aus — für das Kino wie auch die beiden Protagonisten.

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Wo genau bei Die Rückkehr des Filmvorführers die Fiktion anfängt und wo genau das Dokumentarische endet, lässt sich auch bei aufmerksamem und mehrmaligem Schauen kaum sagen. Was aber bleibt, ist eine kraftvolle Parabel auf die Macht und den Zauber des Kinos und ein Lob der Beharrlichkeit, dieses gegen alle Widrigkeiten zu verteidigen und zu behaupten. Und vermutlich ist es genau das, was am Ende zählt.

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Author: Merrill Bechtelar CPA

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