Interview: Schauspieler André Kaczmarczyk
Der Schauspieler André Kaczmarczyk spielt am Düsseldorfer Schauspielhaus, führt Regie und ist seit 2022 Hauptkommissar im „Polizeiruf 110“. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, welche Anziehungskraft das Theater auf ihn hat, warum sich auch ein introvertierter Mensch im Rampenlicht wohlfühlen kann und wie es ist, einen TV-Kommissar mit Millionenpublikum zu spielen.
Foto oben: Thomas Rabsch
Beitrag von: Julia Plaschke am 01.04.2024
Was ist deine früheste Erinnerung an das Theater?
Für mich als Zuschauer war das eine Ballettaufführung des Grimm’schen Märchens „Der Hase und der Igel“ — da war ich fünf Jahre alt. Das Theater machen, also selbst spielen und auf der Bühne stehen, kam dann nicht viel später in der Grundschule und einer Kindertheatergruppe dazu.
War das Liebe auf den ersten Blick mit dir und der Bühnenwelt?
Ja, das war es. Ich erinnere mich gut an diese vielen ersten Male, sowohl auf und hinter der Bühne, als auch im Theatersaal als Teil des Publikums. Viele dieser Eindrücke sind tief in mir abgespeichert — Gerüche, Farben, Kostümteile, Szenenbilder, emotionale Stimmungen, Gedankenspiele, die ich nicht vergessen kann und möchte. Diese frühen Erinnerungen treiben auch jetzt noch immer wieder nach oben wie Wasserblasen vom Meeresgrund.
Wie hat sich das angefühlt als Kind und Jugendlicher?
Das Gefühl genau zu beschreiben, fällt mir schwer. Am ehesten würde ich es heute wohl als eine Mischung aus Faszination, Verzauberung, Aufregung und emotionaler Verwirrung beschreiben. Mir war auf jeden Fall früh bewusst, dass ich diesen Ort mit seinen Menschen, Geschichten und wunderlichen Dingen wieder und wieder aufsuchen wollte. Und neben all dem: Das Theater hat von Anfang an ein Gefühl des Zuhauseseins für mich vermittelt.
Wann war dir klar, dass du deiner Leidenschaft fürs Theater auch beruflich folgen willst?
Es gab keine wirkliche Entscheidung dazu im Sinne eines konkreten Erlebnisses oder Zeitpunktes. Ich hatte diesen für mich magischen Ort betreten und wollte ihn möglichst nicht wieder verlassen. Ich musste da nichts entscheiden; ich wollte dort sein. Wer an Schicksalhaftigkeit glaubt, könnte meinen: Es war gewissermaßen mit dem ersten Eintreten schon entschieden. Noch bevor ich erfahren habe, dass es Menschen gibt, die das alles beruflich machen. Dementsprechend hatte ich auch keinen wirklichen Plan B, wenn es mit der Schauspielschule nicht geklappt hätte.
Wie schwierig war es, einen Platz an der Schauspielschule zu bekommen?
Ich habe nur einmal vorgesprochen und wurde angenommen — was wahrscheinlich ein absoluter Fall von Glück war und auch eher nicht die Regel ist. Entsprechend überwältigt war ich von diesem Ereignis. Ich wusste, dass die Aufnahme an einer Hochschule, Universität oder einem Konservatorium langwierig und kompliziert werden kann, dass es möglicherweise viele Anläufe und Versuche braucht, dass mitunter Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen von Nöten sind, und auch, dass es unter Umständen gar nicht gelingen kann. Darauf hatte ich mich innerlich eingestellt.
Und dann kam es ganz anders …
Im ersten Moment konnte ich das damals gar nicht realisieren und war wie betäubt. Auf dem Heimweg musste ich nach einer Haltestelle am Bahnhof Baumschulenweg erstmal aus der S-Bahn aussteigen und lachen und weinen. Und vor allem telefonieren.
Gibt es Schauspieler:innen, die Vorbild für dich waren oder sind?
Nein. Es gab und gibt Menschen, die mich inspirieren, die ich spannend finde oder denen ich mich auf eigentümliche Weise verwandt oder nahe fühle. Aber Vorbilder oder Idole hatte und habe ich nicht.
André Kaczmarczyk © Thomas Rabsch
Du hast dich mal als privat eher introvertierten Menschen beschrieben. Wie meisterst du mit einer solchen Persönlichkeit den Beruf im Rampenlicht?
Ich würde sagen, ich lebe an unterschiedlichen Orten unterschiedliche Persönlichkeitsanteile aus. Jeder Teil hat seinen eigenen Raum, findet seinen Platz zu gegebener Zeit und an gegebenem Ort. Meine zurückgezogenere oder zurückhaltendere Seite muss nicht zurückstecken zu Gunsten des Rampenlichts, denn etwas in mir will ja auch genau dorthin. Ich habe mich an dieses Spiel der Widersprüche gewöhnt und übe mich darin, die Balance zu finden und zu halten. Sicherlich ist das Aushalten dieses Widerspruchs nicht immer einfach. Auflösen kann ich ihn — so viel meine ich über mich verstanden zu haben — jedenfalls nicht. Und das will ich vielleicht auch gar nicht. Er erzeugt für mich eine gute Spannung.
Wie fühlt sich das Theater heute für dich als erfahrener Schauspieler und Regisseur an? Wie bewahrst du dir den Zauber?
Darauf habe ich keine Antwort. Ich gehe einfach noch immer gerne an diesen Ort. An manchen Tagen ist es wie beim allerersten Mal voller Überraschungen und Unbekanntem, an anderen Tagen sehe ich Bekannteres und Vertrauteres. Beides ist mir eigentlich recht.
Gibt es eine Rolle, mit der du dich gar nicht wohlgefühlt hast?
Nein, im Grunde nicht. Es gab und gibt immer wieder Momente bei Proben, mit denen ich mich im ersten Moment und auf den ersten Blick hin vielleicht nicht wohl fühle, die mir Angst machen, mich auf verschiedenste Weise überfordern oder Unbehagen auslösen. Aber ich denke, das ist auch ein Teil meiner Arbeit, mit diesen Gefühlen umzugehen, sie zu untersuchen, zu erforschen und zu ergründen und bestenfalls für mich und für die Sache zu verwandeln und zu transformieren.
Was gefällt dir nicht am Theaterbetrieb?
Mitunter genau das: das Betriebliche am Theaterbetrieb. Aber das gehört eben auch dazu.
Du arbeitest in Düsseldorf auch mit Schauspielschüler:innen der Leipziger Hochschule. Entstehen da im kreativen Austausch mit den jungen Leuten neue Formate?
Ob neue Formate entstehen, wird sich zeigen. Erst einmal bin ich froh und dankbar, diese jungen Menschen auf ihrem Weg begleiten zu dürfen, sie zu unterstützen und mit ihnen die ersten Schritte im Theaterleben zu gehen. Es ist so bereichernd auf allen Ebenen, sie wachsen zu sehen und in der konkreten Arbeit der Unterrichte und Lehreinheiten verschiedenste Teilbereiche dieses Berufes auszuloten.
Kannst du beschreiben, wie ihr miteinander arbeitet?
Ausprobieren, suchen, skizzieren und verwerfen, Irr- und Abwege einschlagen, Fortschritte und Rückschläge feiern, das Gelingen und das Scheitern üben. Das Besondere ist, dass die Hochschule in Leipzig einen Teil der Ausbildung im Theater selbst absolviert. Neben den szenischen Unterrichten, Sprechen, Singen und Tanzen arbeiten die Studierenden schon unter realen Bedingungen. Und das ist zwischendurch eine wirkliche emotionale Achterbahnfahrt.
Du arbeitest nicht nur am Theater, sondern bist seit 2022 einem Millionenpublikum als Kommissar Vincent Ross im „Polizeiruf 110“ bekannt. Hat die TV-Rolle in deinem Leben etwas verändert?
Die wesentlichste Veränderung ist, dass ich nun von Zeit zu Zeit auch vor der Kamera arbeiten darf und damit die Möglichkeit bekomme, eine Facette dieses Berufs zu erkunden, die ich nicht kannte. Ich hatte vor dem Polizeiruf nur sehr sporadischen Kontakt zur Arbeit vor der Kamera. Es war der Eintritt in eine Welt, die mir zugleich ungeheuer fremd und seltsam vertraut war — die Vorgänge, die Prozesse, das Arbeiten sind oft zum Theater so unglaublich verschieden und dann doch im Kern dasselbe.
Was für eine Erfahrung ist das für dich als Schauspieler?
Es macht mich sehr glücklich, dass ich die Chance habe, dort Dinge auszuprobieren, mich schauspielerisch neu kennenzulernen und auf unterschiedlichste Menschen, Orte und Situationen zu treffen.
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André Kaczmarczyk wurde 1986 in Thüringen geboren und studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Von 2016 bis 2022 gehörte er fest zum Ensemble des Schauspielhauses in Düsseldorf, wo er jetzt freischaffend als Schauspieler, Regisseur und Dozent arbeitet und lebt.
Er hat für seine schauspielerischen Leistungen diverse Preise bekommen, spielte bei den Salzburger Festspielen und ist seit 2022 Hauptkommissar im „Polizeiruf 110“. In Düsseldorf steht André Kaczmarczyk in dieser Spielzeit unter anderem als Macbeth, Richard III. und als Conférencier in seiner eigenen „Cabaret“-Inszenierung auf der Bühne.
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